temporary

2018 Installationen in den Kellerräumen vom Künstlerhaus Palais Thurn & Taxis, Bregenz

Improvisationen zur Lemniskate

Doppelinstallation “erdig & luftig” – holzgebrannte Tonfragmente auf dem Boden / gedrehte Drahtformen 1 m schwebend vor der Stirnwand

9 Formstudien aus der Bewegung der Lemniskate, der liegenden Acht / Feldbrand

3 teilige biografische Installation in 3 parallel liegenden Räumen

nicht mehr – jetzt – noch nicht / Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

nicht mehr

“Groß ist die Kraft der Erinnerung, die Orten innewohnt.” Cicero

Blicke zurück in die Kindheit, in die dunklen Schatten der Nachkriegszeit / aufgewachsen in Fraxern, einem ehemaligen Muster-Nazi-Dorf mit Gefangenenlager / der Denunziation des Vaters und seinen Kriegserfahrungen

eigener Kinderkopf geschnitzt von Vater und Bildhauer Jakob Summer / 2 Keramikobjekte “Nachtgespenster + Tagtraum” / Bodeninstallalation “7×7 Kinderaugen” 49 Keramikobjekte weiss / Zeittafel mit Fotos aus dem Nazidorf mit Lager und Gefangenen beim Strassenbau / Wandinstallation mit “Ahnenpass und Feldpost” von gefallenen Onkeln / “Würfelspiel” mit Familienfotos

jetzt

“Die Verantwortung für das eigene Handeln kann zu keiner Zeit suspendiert werden.” Hannah Arendt / Zitat an die Wand geschrieben

noch nicht

“Künstler sollten wissen, wie man gut lebt. Und: wie man gut stirbt.” Marina Abramovic

Meine drei letzten Dinge: letzte Kiste – Sarg, letzes Gefäss – Urnenwürfel, letztes Hemd / Fotoserie “last shirt für all seasons”

Hommage dem Dialog

inspiriert auf einer Kunstreise in Israel und Palästina

2 Leporellos aus Ton mit eingeprägter Lyrik aus Tel Aviv und Ramallah

Chaim Nachmann Bialik, Israeli / Mahmud Darwisch, Palästinenser / anerkannte und verehrte Schriftsteller

je ein Gedicht mit Metall-Lettern in Tonplatten eingeprägt, montiert und gebrannt / die Namen der Lyriker in ihrer jeweiligen Schrift eingeritzt

2 Fotos aus Tel Aviv / bei Tag und bei Nacht

Ariane Grabher

„Zeitschrift für Kultur“ April 2018 zur Ausstellung im Künstlerhaus Thurn &Taxis, Bregenz

„temporär“

EIN LETZTES HEMD FÜR JEDE JAHRESZEIT

Vor etwas mehr als einem Jahr hat die Vorarlberger Plastikerin und Keramikkünstlerin Maria Jansa das Gewächshaus der Staudengärtnerei Kopf in Sulz bespielt. Im winterlich kargen Ambiente der Gärtnerei hat die Künstlerin ihre Werke zwischen Gefäß und Objekt , im Umhüllen von Hohlräumen und im bildhauerischen Schwelgen im Material, präsentiert. Weiße, engobierte, abstrakte Formen, an Margeriten-Köpfe erinnernd, freihand gearbeitet, mit Einritzungen und Strukturen versehen, dominierten damals die für den Ort maßgeformte Ausstellung.

Archaische Urformen haben die 1949 in Fraxern geborene und dort lebende und arbeitende Maria Jansa seit einer ersten Begegnung mit kykladischer Gefäßkeramik in einem Museum in Athen in den 70er-Jahren fasziniert. Seither formt und brennt die Künstlerin, die die Keramikklasse für Keramik an der Kunstuniversität Linz besucht hat, und lotet Erde, dieses ursprüngliche, traditionsreiche Material mit viel Gespür in all seinen Möglichkeiten und Facetten aus. Für Maria Jansa „das sinnlichste und unmittelbarste Medium“, das sie direkt von der Idee zum plastischen Ausdruck kommen lässt oder umgekehrt von der haptischen Wahrnehmung zur Idee, spielt Ton mit jeder Menge Tabus und gilt häufig als verpönt in der Kunst. Dass  Keramik in der mitteleuropäischen Kunst Szene ganz langsam, aber stetig an Bedeutung gewinnt, erfüllt die Künstlerin, die seit 1980 freischaffend arbeitet, sich mit Baukeramik, Gefäßen, Objekten und seit 2000 mit Installationen, Figurinen und Urnen befasst, mit Genugtuung. Zunehmend konzentriert sich Maria Jansa in ihrem Schaffen, bei dem im Brennprozess stets das Feuer das letzte Wort spricht, auf das Zu-und Miteinander von Form und Raum.

Durch Kinderaugen betrachtet

Auch in der aktuellen Ausstellung im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis in Bregenz arbeitet Maria Jansa auf den Ort zu. Neben eigens produzierten Arbeiten greift sie auch auf bestehende Werke zurück, die sie neu arrangiert und in Installationen verarbeitet. Installationen, für die es für die Künstlerin nur einen möglichen Ausstellungsort gibt: den Künstlerhaus-Keller mit seiner klein-räumigen Architektur und den einzelnen Räumen, die zu Zeitkapseln werden. Dort, wo sie bereits 2006 mit einer Werkschau vertreten war, zeigt Maria Jansa nun ihre Ausstellung „temporär“.

Von begrenzter Zeitdauer, vorübergehend, zeitweise: das Adjektiv „temporär“, das der Schau in Bregenz ihren Titel gibt, kann man, so Maria Jansa, auf das ganze Leben beziehen. Und auch einzelne Abschnitte von Zeitlichkeit wie „nicht mehr“, „jetzt“, „noch nicht“, die sie in den drei nebeneinander liegenden Keller-Zellen thematisiert, sind letztlich ebenso temporär und gehen ineinander über. Im linken der drei Räume wirft die Künstlerin einen Blick zurück in eine Zeit, die sie nicht vergessen kann. Geprägt von der Nachkriegs-Kindheit im ehemaligen „Muster-Nazi-Dorf Fraxern“ (Jansa), erinnert sich die Künstlerin an eine angstvolle Zeit, die voller Schatten war: die serbischen Gefangenen, das Lager im Dorf, die Kriegserfahrungen des Vaters, der denunziert worden war, … Neben einer Bodeninstallation aus 49 Kinderaugen (Keramikobjekte), die in die Welt hinaufschauen , und dem mit verschiedenen Fotos überzogenen „Würfelspiel“, zeigt Maria Jansa auch Zeitdokumente aus jenen dunklen Jahren. Im „jetzt“ des mittleren Raumes verankert findet sich ein Zitat der jüdischen Philosophin Hannah Arendt (1906-1875), handgeschrieben auf der Stirnwand. Arendt, die 1933 aus dem Nazi-Deutschland emigrierte, gilt als eine der schärfsten Beobachterin ihrer Epoche. Ihre Themen wie Flucht, Menschenrechte, Totalitarismus sind von zeitloser Aktualität.

Gut leben, gut sterben

„Noch nicht“ ist der dritte, der rechte Raum übertitelt. Er birgt „Meine drei letzten Dinge“, ein Ensemble, in dem sich Maria Jansa mit ihrer Sterblichkeit und ihrem eigenen Ableben auseinandersetzt. Im Hinterkopf hat sie dabei ein Zitat der großen Marina Abramovic: „Künstler sollten wissen, wie man gut lebt. Und: wie man gut stirbt.“ Die Kiste, gefertigt nach ihren eigenen Körpermaßen und aus Brettern aus dem Sägehimmel, steht offen, wie ein Spint im Raum: in der Kiste ein schwarzer Würfel – das letzte Gefäß, die Urne – und aufgehängt das weiße Leinenhemd, genäht aus einem alten Leintuch. Als „last shirt for all seasons“, als letztes Hemd für alle Jahreszeiten, hat die Künstlerin das Hemd draußen in der Natur in verschiedenen Settings, vom Schnee bis zur Sommerwiese, fotografiert. In dieser Installation, konzipiert für die Gruppenausstellung „minimal housing“ in Salzburg, kulminiert die sehr persönlich gehaltene Ausstellung von Maria Jansa, die unmittelbar mit der eigenen Biografie und einem zutiefst eigenen Blick auf die Dinge und die Welt verknüpft ist. Durch die Verankerung in der Zeitgeschichte werden die Arbeiten der Künstlerin aber auch auf einer allgemeinen Ebene mit Bedeutung aufgeladen, koppeln sich mit dem kollektiven Bewusstsein und beweisen, dass Temporäres auch bleibende Erinnerung en hinterlassen kann.

Zeit und Zeitlichkeit gerinnen schließlich in der Werkgruppe „immer“, in der sich Maria Jansa ausgehend von ihrem Kunst und Bau-Projekt in der Paedakoop Schule 2016 in Schlins mit der Form der liegenden Acht, die Lemniskate, hat die Künstlerin in Drahtformen übertragen, die an Nylonfäden hängen und an der Rückwand des Raumes zusammen so etwas wie einen leicht-luftigen Vorhang bilden. Dazu gesellen sich am Boden erdig geräucherte Ton-Spiralen aus dem Raku-Brand., Fragmente aus der ursprünglichen Schleifenform. Diese plastischen Improvisationen, die sich aus der (Ur)Bewegung ableiten, erzeugen in den unterschiedlichsten Tonarten eine unterschiedliche Haptik und Spannungsfelder.

Ein Tonleporello, geprägt mit Gedichten, entstanden im Druckwerk Lustenau, und ergänzt um eine Fotoarbeit, die Stromdrähte und Palmen am Nachthimmel von Tel Aviv zeigt, komplettieren die Ausstellung. Inspiriert dazu wurde Maria Jansa auf einer Kulturreise durch Israel von zwei großen Dichterpersönlichkeiten, die stellvertretend für ihre Völker und die dramatischen politischen Hintergründe im Nahen Osten stehen.